DAS KOLLEKTIV
UNERBITTLICHE NACHGIEBIGKEIT
EINE ZUMUTUNG IN LIEDERN UND GEDICHTEN
von Wedekind und dem jungen Brecht
Sie müssen jetzt ganz tapfer sein.
Wedekind und der frühe Brecht sind nichts für schwache Nerven. Oder für Kabarettfans, die sich auf die Schenkel klopfen und ihre Meinung bestätigt bekommen wollen. Nein, hier dröhnen Texte und Lieder, die befremden, die schmerzen, die manchmal abstoßen. Die man beim ersten Hören vielleicht nicht versteht.
Doch darum geht es hier auch gar nicht vorrangig. Was Sie hier hören hat, bei allen Unterschieden, eine Gemeinsamkeit: Ob der „Lehrer von Mezzodur“ Frau und Kinder oder „Jakob Apfelböck“ seine Eltern umbringt, ob Mazeppa stirbt oder „Der Anarchist“, ob „Verführte Mädchen“ oder „gehorsames Mägdlein“ – überall blitzt ein gehöriges Maß an Anarchie auf, an Aufstand gegen eine Zeit und eine Gesellschaft, die am Abgrund steht und damit der unseren vielleicht gar nicht so unähnlich ist. Das tobt im Kleinklein der privaten Verliebtheiz („Der Andere“, „zur Verlobung“), das lässt säkulare Mythen entstehen („Choral vom großen Baal“). Saukomische Majestätsbeleidigung („Der König David“) wechselt sich ab mit gnadenloser (Nach-)Kriegsbeschreibung („Moderne Legende“), ironisches Bauernidyll (“Stallknecht und Viehmagd“) mit rätselhafter Stadtnaturansprache („Morgendliche Rede an den Baum Griehn“).
Folgen Sie uns in eine Stimmung des Untergangs, aber vor allem auch des witzigen wie zornigen, eben anarchistischen Widerstands gegen ihn, der am Ende vielleicht sogar eine leise Hoffnung gebiert.
Nächste Termine:
Fr 28. Juni 21h – Zimmer16, Florastr. 16, Pankow
Do 26. Sep 18h – Helene-Nathan-Bibliothek, Karl-Marx-Str. 66, Neukölln
Do 7. Nov 20h – Café Tasso, Frankfurter Allee 11, Friedrichshain
Kontakt & Booking: Phil Cooksey (030) 29 66 30 45 phil@philcooksey.de
DIE AUTOREN
Frank Wedekind
Frank Wedekind wurde am 24. Juli 1864 geboren und starb am 9. März 1918. In der Zwischenzeit starb ein Zeitalter, und Wedekind besang, verdichtete und wirkte aktiv mit an diesem Sterben der überkommenen Ordnung und dem Anbruch dessen, was wir Moderne nennen. Er entstammte einer wohlhabenden Familie und versuchte diesem Umstand Rechnung zu tragen, indem er Jura studierte, das Studium abbrach, es erneut aufnahm und erneut abbrach – deutlicher konnte sich die künstlerische Neigung kaum behaupten.
Was folgte, war ein unsteter, irrer Mischmasch an Betätigungsfeldern, an Werken und Orten. Wedekind war Werbechef bei Maggie – und Zirkussekretär. Er schrieb bösartige und sinnliche Lieder, die er selbst zur Gitarre vorsang. Er schrieb Stücke, wie „Frühlings Erwachen“ und „Die Büchse der Pandora“. Er saß ein halbes Jahr Festungshaft wegen Majestätsbeleidigung ab, und seine Stücke hatten alle mit der Zensur zu kämpfen. Was nicht verwundert, trafen sie doch den Ton der neuen Zeit: Bereits 1911 entstand der auf Wedekinds Stücken „Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“ basierende Stummfilm „Lulu“ sowie zwei weitere Filmfassungen 1923 und 1929. Die Opernfassung von Alban Berg wurde 1937 aufgeführt und kleidet den modernen Text in einem ihm entsprechend moderne Musiksprache.
Wedekind ist ein Sprachgewaltiger, der sich die Freiheit nimmt – politisch wie privat. Darin unterscheidet er sich von Künstlern der vergangenen Epochen, die lediglich ihrer Sehnsucht danach Ausdruck gaben. Und so nimmt seine Sympathie für den Anarchismus, der im 19. Jahrhundert eine dezidiert terroristische Bewegung war, ebenso wenig Wunder, wie seine deutliche Darstellung verschiedenster sexueller Obsessionen.
Bis über den Tod hinaus blieb er konsequent: Sein Begräbnis in München geriet zum Skandal, als ihm nicht nur Künstler wie Bertold Brecht, sondern auch zahlreiche Prostituierte der Stadt die letzte Ehre erwiesen.
Bertolt Brecht
Als Brecht bei Wedekinds Beerdigung war, war er 20 Jahre alt. Und er hatte gewiss keine Einwände gegen die Anwesenheit von Prostituierten. Wedekind gehörte, wie Büchner, Villon und Rimbaud, zu den großen Heroen des jungen Brecht. Folgt man den Brecht-Interpreten, ist sein Baal eine Art Mischung aus Villon und Wedekind. Brecht war Wedekind persönlich nicht näher gekommen, im Gegensatz zu Karl Valentin, mit dem er 1922 ein gemeinsames Kabarettprogramm gestaltet. Der Einfluss von Wedekind auf Brecht ist trotzdem nicht zu unterschätzen: In einem Brief an Caspar Neher vergleicht er Wedekind mit Sokrates und Tolstoi. Brechts erster Sohn hieß Frank.
Brecht über Wedekind: „Seine Vitalität war das Schönste an ihm. Ob er einen Saal, in dem Hunderte von Studenten lärmten, ob er ein Zimmer, eine Bühne betrat, in seiner eigentümlichen Haltung, …, ein wenig schwerfällig und beklemmend: Es wurde still. Er füllte alle Winkel mit sich aus. Er stand da, hässlich, brutal, gefährlich, mit kurz geschorenen roten Haaren, und man fühlte: den bringt kein Teufel weg. Er trat im roten Frack als Zirkusdirektor vor den Vorhang, Hetzpeitsche und Revolver in den Fäusten, und niemand vergaß je wieder diese metallene, harte, trockene Stimme. Er sang vor einigen Wochen in der Bonbonniere zur Guitarre seine Lieder mit spröder Stimme, etwas monoton und sehr ungeschult: Nie hat mich ein Sänger so begeistert und erschüttert.“
Brecht wurde 1898 in Augsburg geboren und starb 1956 in Ost-Berlin. In dieser Zeit musste er oft fliehen und machte sich viele Feinde, u.a. Faschisten, Kapitalisten, Stalinisten, Feministen.